Auch die Millicher Halde haben die Jugendlichen beider Nationen gemeinsam erklommen und von dort die schöne Weitsicht genossen.
Eine Woche lang haben Jugendliche aus der russischen Stadt Arzamas die ehemalige Zechenstadt erkundet
Von Daniela Giess
Hückelhoven. Gitarrenklänge und fröhlicher Gesang dringen aus dem großen Sitzungssaal im Hückelhovener Rathaus. Wo sonst die Kommunalpolitiker aus der ehemaligen Zechenstadt debattieren und Beschlüsse fassen, stimmen die weit gereisten Gäste aus der russischen 100.000-Einwohner-Stadt Arzamas zwei populäre Volkslieder ihrer Heimat an.
Noch bis zum 30. Juli sind die Jugendlichen zu Gast, organisiert wird die deutsch-russische Begegnung bereits seit zwei Jahrzehnten. Willi Engels, Vorsitzender des Kreis-Heinsberger Vereins „Jugend aktiv”, der den interkulturellen Austausch organisiert, besucht Bürgermeister Bernd Jansen zusammen mit den Mädchen und Jungen sowie ihren Betreuern, darunter die Hückelhovener Gymnasiastin Yas Mokhtarian (17) mit ihrem Bruder Armin. Für eine Woche hat die bunt gemischte Gruppe auf dem Zeltplatz in Brachelen ihr Domizil errichtet – von hier aus starten sie zu ihren täglichen Ausflügen, die sie unter anderem nach Düsseldorf zum Fernsehturm und an den Rhein sowie in die Heinsberger JVA führen.
Landtagsabgeordneter Thomas Schnelle hat die Schirmherrschaft übernommen. Zusammen mit dem Hückelhovener Verwaltungschef versorgt er die jungen Besucher bei beinahe schon tropischen Temperaturen erstmal mit kühlen Getränken. Eine Rafting-Tour auf der Rur haben sie schon hinter sich. Auch die Millicher Halde haben sie erklommen. Am Wochenende wollen sie am Schützenfest in Kleingladbach teilnehmen. Für sieben Tage eintauchen in die fremde Kultur. Neue Freundschaften knüpfen. Ein unbekanntes Land besser kennenlernen, das sie bisher nur aus dem Internet kannten.
Vladislav Volganov (15) ist zum ersten Mal in Deutschland. Und in Europa, wie er schmunzelnd eingesteht. Was er erlebt und sieht, gefällt dem Schüler, der wie seine Mitreisenden der russischen Jugendorganisation „Jugend und Politik” angehört, deren Mitglieder ehrenamtlich das Stadtbild in Arzamas aufhübschen, indem sie zum Beispiel freiwillig die Straßen von Unrat befreien oder Malerarbeiten verrichten.
Die Reise in den Kreis Heinsberg ist eine Belohnung für die fleißigsten Mitglieder der russischen Jugendorganisation. Vladislav gehört dazu. Für Bürgermeister Jansen hat der Junge einen kleinen Vortrag über seine Heimatstadt vorbereitet, der von einer Dolmetscherin übersetzt wird. „Die Häuser, die Architektur”, antwortet er auf die Frage, was ihm am besten gefällt. Er fühle sich geehrt, an dem Austauschprogramm teilnehmen zu dürfen. Neue Freunde, neue Eindrücke – Vladislav bringt auf den Punkt, was ihn hier so begeistert und woran er zu Hause in der Russischen Föderation noch lange zurückdenken wird.
Historische Gebäude seien gut erhalten, meint er anerkennend. Die Stadt, aus der er und die anderen Jugendlichen kommen, wurde 1578 gegründet und feiert derzeit ihr 440-jähriges Bestehen. Da kann der Erste Bürger nicht mithalten. „Hückelhoven ist eine junge Stadt. Sie wird im nächsten Jahr 50 Jahre alt”, berichtet Jansen seinen aufmerksamen Zuhörern. Rund 100 Nationen leben hier friedlich zusammen. „Wir sind eine Multikulti-Stadt”, bringt es Jansen lachend auf den Punkt. Und weiter: „Vor 20 Jahren haben wir mit der Zechenschließung einen schmerzlichen Einschnitt erfahren.” Rund 6000 Arbeitsplätze seien dadurch verloren gegangen. Dazu die Angst, dass gerade junge Familien der Stadt den Rücken kehren könnten. Und dass keine neuen Arbeitsplätze entstehen würden.
Heute steht Hückelhoven seiner Meinung nach besser da als zuvor. Etwa 3000 Arbeitsplätze mehr als vor dem Aus für das Bergwerk Sophia-Jacoba seien zu verzeichnen. „Wir mussten uns neu erfinden”, so Jansen.
Drei Schwerpunkte habe man dabei gesetzt. Viele neue Arbeitsplätze seien geschaffen worden, allein im Industriegebiet Baal circa 3000. Für Kinder und junge Familien habe man etwas tun wollen. Hier verwies der Erste Bürger auf das Schulbauprogramm mit Investitionen in Höhe von 70 Millionen Euro. Schulen seien modernisiert und mit neuester Technik ausgestattet worden. Inzwischen hat sich Hückelhoven, so Jansens Einschätzung, auch als Einkaufsstadt ganz schön gemausert. Noch vor 20 Jahren habe Hückelhoven nicht unbedingt zum Einkaufen eingeladen; auch die Hückelhovener seien lieber in anderen Städten auf Shopping-Tour gegangen. Die freigewordenen ehemaligen Zechenflächen habe man genutzt, um Geschäfte anzusiedeln. Ein Plus ist nach seiner Einschätzung auch das kostenlose Parken mit rund 4000 Parkplätzen.